Deutsche Mundarten und die Schwaben ***

Liebe Irina,

ich freue mich, dass du so fleißig Deutsch studierst und schon so viele Bücher im Original gelesen hast. Vielleicht wirst du aber enttäuscht sein, wenn du in Deutschland nicht alle Menschen verstehen wirst.

Es wird zwar Hochdeutsch geschrieben und verstanden, aber nicht immer gesprochen. Viele Deutsche sprechen Mundart (Dialekt). Die Mundart hat eine eigene Grammatik, einen eigenen Wortschatz und eine eigene Aussprache. Viele Dialekte unterscheiden sich sehr von der Hochsprache, und je weiter sie von einander geografisch entfernt sind, desto unwahrscheinlicher ist es, dass die Sprecher einander gut verstehen. Zu den bekanntesten Dialekten des Deutschen zählen Bairisch, Schwäbisch, Sächsisch und Plattdeutsch. Unterschiede in Wortschatz und Aussprache gibt es auch zwischen dem Deutsch, das in der Schweiz, in Österreich und in Deutschland gesprochen wird.

So schwätzen die Schwaben

Die Schwaben, unter denen ich lebe, sagen, dass sie so „schwätzen“, wie ihnen der „Schnabel“ gewachsen ist. Und der bekannte Werbespruch über die Schwaben im Fernsehen lautet: „Wir können alles außer Hochdeutsch“ (M’r kennet elles außer Hochdaitsch).

Die Menschen im Schwabenland sind sehr gemütlich. So sagen sie z.B. „Häusle“, „Mäusle“, „jetztetle“ usw. Als Deutschlehrerin muss ich manche Leute korrigieren, wenn ich z.B. höre: „Mein Bruder ist älter wie ich“ oder „… sowohl wie auch ….“. Viele Wörter der Hochsprache musste mein Mann erst lernen, nachdem ich sie ihm im Wörterbuch als Beweismittel gezeigt hatte!

Dialekt wird nicht nur von den älteren Leuten oder auf dem Lande gesprochen, wie ich früher gedacht habe. Sogar in den Behörden bemühen sich die Mitarbeiter oft nicht Hochdeutsch zu sprechen. Der Standesbeamte war zuerst nicht sicher, ob ich alles bei der Trauung verstehe und fragte an, ob ein Dolmetscher kommen sollte. Da ich erst kurz in Deutschland lebte, war mir der Dialekt des Standesbeamten nicht so vertraut. Trotzdem habe ich verstanden, dass es sich nicht um eine Touristenregistrierung handelte!

Schwäbische Tugenden

Über die Schwaben sowie auch über die Sachsen oder andere Volksgruppen macht man sich oft lustig. Den Schwaben sagt man nach, dass sie geizig seien. Sie selber sehen sich nur als sparsame Leute. Wenn ich mal in der Werbung nach günstigen Angeboten schaue, sagt mir mein Mann oft, dass man am meisten spart, wenn man gar nichts kauft. In einem feinen Restaurant ist es doch bei uns üblich, dass man etwas auf dem Teller übrig lässt. In einem schwäbischen dagegen wird alles gegessen. Wenn die Portion einmal zu groß ist, verlangt der echte Schwabe nach Folie, um die Reste einzupacken und mitzunehmen. Deswegen sagt man hier: „Lieber sich den Bauch verrenken[1], als dem Gastwirt etwas schenken.“ Wie die Schwaben einander einladen, habe ich dir schon mal geschrieben.

Auch heißt ihr Lebensmotto: „Schaffe[2], spare, Häusle baue – Hund verkaufe, selber belle!“

Irina, ich will dir trotzdem Mut machen, weiter Hochdeutsch zu studieren. Dann wirst du in Deutschland bestimmt auch oft hören: „Oh, du sprichst aber schön, wie Goethe!“

Alles Gute wünscht Dir

Deine Elena

Der Artikel erschien in „Der Weg“ 2/2005

[1] verrenken: etwas so bewegen oder drehen, dass es gedehnt und verletzt wird ? verzerren
[2] schaffen: (hier) arbeiten