„Is voll krass eh“ – Neue Trends in der Jugendsprache

Jugendsprache ist immer ein beliebtes Thema. Und sei es nur, damit man weiß, wie man nicht sprechen sollte! Das gilt besonders für unser heutiges Thema, das „Kanakisch“.

Das Wort Kanake[1] kommt aus dem Polynesischen[2] und bedeutet dort „Mensch“. In Deutschland wurde es zum Schimpfwort für Ausländer, besonders für Türken. Heute nennen sich die Deutschtürken der zweiten und dritten Generation stolz selber so.

Einige Wörter der Jugendsprache (nicht nur kanakisch): Brett sehr guter Popsong cool gut fett viel, stark,
sehr gut hart extrem krass sehr gut, toll korreckt gut, in Ordnung obern korreckt hervorragend Muckomat Radio peilen verstehen pervers extremst raffen sich beruhigen Ratte der Freund, der
etwas gut gemacht hat Tuss die junge Frau, Freundin verchecken verkaufen volltexten auf jemanden einreden zugetackert viele Piercings besitzen Was geht ab? Wie geht’s? Ich hol mein Brudhern Jetzt pass mal auf! Mein Handy is krassern wie deim Mein Mobiltelefon ist teurer als deines!

Kanakisch ist zur neuen Jugendsprache Deutschlands geworden. Sei es auf Schulhöfen, im Fernsehen, im Kabarett[3], im Kino oder in der Literatur. Die deutsch-türkischen Redewendungen[4] verbreiten sich schnell. „Was guckst – Bin isch Kino, oder was?!“[5] kriegen schockierte Eltern plötzlich von ihren Kindern zu hören.

Der kanakische Wortschatz umfasst etwa 300 Wörter. Rund ein Drittel davon entfällt auf Kraftausdrücke[6] aus dem Fäkal[7] – und Sexualbereich, ein weiteres Drittel auf Automarken, deren Modelle und Varianten. Das verbleibende Drittel besteht aus Verbindungsworten, Handytypenbezeichnungen[8] und den restlichen Wörtern, die unbedingt zum Sprachverständnis notwendig sind. Darunter fallen selbstverständlich auch die typischen Phrasen, die an fast jedes Satzende gehängt werden, wie z.B. weisstu[9], Alder[10], isch schwör[11], weisstu, wie isch mein[12].

Es ist schon unglaublich, was sich mit so wenigen Worten alles ausdrücken lässt, zumal der kanakisch Sprechende im Alltag oft nur einen Wortschatz von ca. 30 Wörtern verwendet. Im Kanakischen benutzt man besonders gern den Dativ. Beispiel: „Alder, dem ist dem Problem, weisstu?“[13] Fragewörter enden auf „tu“ oder „su“: „Raussu?“ (Rauchst du?), „Hastu Problem, oder was?“. Außerdem ist jedes Substantiv männlich: „Siehssu dem Tuss?“ („Siehst du die junge Frau dort?“). Ein gutes Beispiel: „Dem Ampeln is grun, abern wenn rot is, fahr isch trotzdem druber, isch schwör, Alder!“

Dieser Satz beschreibt zugleich sehr schön eines der Themen, mit denen sich Kanakischsprechende gerne beschäftigen: Autos (Karren), Frauen (Tussen), und Kickboxen[14].

Kanakisch wird mittlerweile von deutschen Jugendlichen genauso gesprochen wie von türkischen oder russischen. Sie versuchen, sich auch sprachlich von ihren Eltern abzugrenzen. Das Phänomen „Jugendsprache“ ist im Grunde alt. Jede Generation hatte ihre „Sprache“. Und heute wie damals reagieren die Älteren oft mit Kopfschütteln.

Zusätzlich zum Kanakisch speist sich die Jugendsprache aus den oft englischen Texten des Pop und Hip-Hop[15] [16]. Bedingt durch die internationale Internet-Nutzung sind sogar Mischwörter wie chatten[17] oder chillen[18] absolut normal.

Gleichzeitig stehen immer mehr Jugendliche zu ihrer Muttersprache. So sehr man es vor einigen Jahren ablehnte in Deutsch zu singen, so begeistert singen die Fans heute bei Konzerten deutscher Hip-Hop-Bands mit.

Wie sprechen also die Jugendlichen in Deutschland im Jahr 2003? Meistens ganz normal! Und kein Deutschlernender sollte versuchen, die Jugendsprache zu „lernen“, besonders da sie weder grammatikalisch noch vom Vokabular her gut ist. Aber es ist schon interessant sie etwas zu verstehen und damit auch das Lebensgefühl mancher jungen Leute heute.

 

[1] [ka’nake]
[2] Polynesien: Inselwelt im mittleren Pazifik
[3] das Kabarett: eine Art Theaterstück, das aus Dialogen, Sketchen und Chansons besteht und besonders politische Verhältnisse und aktuelle Ereignisse auf witzige Art kritisiert
[4] Manchmal nennt man sie auch „Döner-Deutsch“
[5] Was siehst du mich so an, bin ich ein Kino, oder was?
[6] der Kraftausdruck: ein vulgärer (= so, dass sie gegen die guten Sitten und gegen den guten Geschmack verstoßen = ordinär) Ausdruck – Fluch
[7] der Fäkalbereich: Bestand an vulgären Ausdrücken, die Dinge u. Vorgänge im Zusammenhang mit Fäkalien (= von Menschen u. Tieren ausgeschiedener Kot) bezeichnen.
[8] das Handy: ein drahtloses Telefon; Mobiltelefon
[9] weißt du
[10] (Alter) Ausdruck für eine Person
[11] ich schwöre
[12] du weißt, was ich meine
[13] (~), das ist das Problem, weißt du?
[14] Kickboxen: asiatische Kampfsportart, bei der die Gegner sowohl boxen als auch mit bloßen Füßen treten dürfen.
[15] HipHop: (wörtlich: „Hüftsprung“) auf dem Rap basierender Musikstil, der durch elektronisch erzeugte, stark rhythmisierte u. melodienarme Musik [u. Texte, die vor allem das Leben der unteren sozialen Schichten in amerikanischen Großstädten widerspiegeln] gekennzeichnet ist.
[16] z.B. mit hip, hype oder rave
[17] chatten: über Tastatur und Bildschirm elektronisch kommunizieren
[18] entspannen (für Raver)