Goethe – der „Dichterfürst“

Johann Wolfgang von Goethe ist Deutschlands größter Dichter und einer der größten der Welt. Er war nicht nur Dichter und Schriftsteller. Er war auch Künstler, Naturforscher und Staatsmann.

Wie nur wenige Menschen, kannte Goethe sich in allen Bereichen des Wissens und Lebens aus. Alles ordnete er in seine Sicht der Dinge, seine Weltanschauung, ein. Alles war für ihn eine Einheit. Wir nennen solch einen Menschen einen Universalmenschen oder ein Universalgenie.

Jugend

Am 28.8.1749 wurde Goethe in der reichen Handelsstadt Frankfurt am Main geboren. Dort steht heute noch als Museum das „Goethehaus“, in dem er heranwuchs. Seine Eltern waren wohlhabende Leute. Goethe hat nie in seinem Leben Not kennengelernt, wie z.B. der Dichter Friedrich von Schiller. Er hatte immer genug Geld.

Goethes Vater war Jurist, aber er übte seinen Beruf nicht aus. Er hatte genug Vermögen, um davon zu leben und seinen Kindern eine gute Ausbildung zu geben.

Vater Goethe war sehr gebildet, viel gereist und hatte strenge Grundsätze. Wie der Vater, interessierte sich auch sein Sohn später für alle Bereiche des Wissens, wie er, stellte auch der Sohn feste Grundsätze und Regeln für das Leben, für Wissenschaft und Kunst auf.

Goethes Mutter war das Gegenteil. Sie hatte viel Lebensfreude, viel Phantasie und konnte gut erzählen. Von ihr hat Goethe sein freundliches, gewinnendes[1] Wesen geerbt sowie seine Phantasie und seine Gabe zu dichten.

Goethe hat in seinem langen, reichen Leben mehrere Abschnitte der geistigen Strömungen in Europa durchlaufen. Als er geboren wurde, um die Mitte des 18. Jahrhunderts, herrschte in Europa die sogenannte „Aufklärung“. Der Mensch wollte alles mit seinem Verstand erforschen, „aufklären“, in den Griff bekommen.

Sturm und Drang

Seit etwa 1770 enstand jedoch unter der Jugend in Deutschland als Bewegung dagegen der sogenannte „Sturm und Drang“. Gegen den Verstand betonte man jetzt das Gefühl, gegen ein Leben nach strengen Ordnungen legte man Wert auf Freiheit und Spontaneität[2] (bis hin zur Anarchie[3]) und auf „Größe“ des Menschen.

Goethe studierte zu dieser Zeit Rechtswissenschaft in Straßburg. Sein Vater wollte, daß er Jurist würde wie er selber. So besuchte der Sohn von 1765 bis 1771 die Universitäten von Leipzig und Straßburg.

Schon in Leipzig hatte Goethe Gedichte gemacht. Sie waren mit dem Verstand ausgedacht und daher etwas unlebendig und trocken[4]. Doch jetzt in Straßburg erwachte sein Gefühl zu voller Stärke. Von jetzt an spricht er in seinen Gedichten aus, was er an Freude, Schmerz, Hoffnung, Glück, Verzweiflung unmittelbar empfindet. Das alles sagt er in einer wunderbar flüssigen, reichen Sprache, wie sie nur selten ein Dichter besitzt.

Goethe wurde von seinem Freund Johann Gottfried Herder dazu angeregt. Aber seine schönsten Gedichte entstanden aus seiner Liebe zu der Pfarrerstochter Friederike Brion in dem Dorf Sesenheim bei Straßburg. Doch heiraten wollte Goethe Friederike nicht. Als er 1771 nach Frankfurt zurückkehrte, ließ er sie traurig und allein zurück.

Goethe hat seine Werke meistens ohne viel Mühe niedergeschrieben. Er kannte allerdings auch immer wieder Zeiten, in denen er passiv war und depressiv[5]. Er hat dann mit festem Willen dagegen angekämpft. Er war ein sehr feinfühliger, komplizierter Mensch.

Goethe war jetzt Rechtsanwalt in Frankfurt. Aber sein Beruf langweilte ihn. Viel lieber schrieb er Gedichte. In ihnen wird in einer begeisternden Sprache die Natur (z.B. „Wanderers Sturmlied“) oder der große Mensch, das „Genie“ (z.B. „Prometheus“) verherrlicht. In seinem ersten Drama „Götz von Berlichingen“ schildert Goethe einen mutigen Kämpfer für Freiheit und Recht, der an der Feigheit und Verdorbenheit[6] seiner Zeit zugrundegeht. Durch dieses Schauspiel wurde Goethe plötzlich berühmt.

1772 ging Goethe für kurze Zeit in das benachbarte Wetzlar. Dort lernte er ein Mädchen kennen und lieben, das mit einem seiner Freunde verlobt war. Gleichzeitig erschoß sich in dieser Zeit ein anderer Freund aus unglücklicher Liebe zu einer Frau. Sein Tod und Goethes eigene unglückliche Liebe regten ihn an, den Roman „Die Leiden des jungen Werther“ zu schreiben. Dadurch wurde Goethe noch berühmter. Viele junge Männer in ganz Europa kleideten sich damals wie Werther in dem Roman. Manche erschossen sich sogar wie Werther aus unglücklicher Liebe.

Wandlung zum Klassiker

1775 fand Goethe endlich eine ihn befriedigende berufliche Anstellung. Der junge Herzog Ernst-August von Sachsen-Weimar berief ihn als Minister in sein kleines Herzogtum. Dort blieb Goethe bis an sein Lebensende. Er war als Minister nacheinander für verschiedene Aufgaben zuständig: für die Finanzen, für das kleine Heer, den Wegebau, das Theater und die Künste.

Hier in Weimar fand Goethe aus der Unruhe seiner Sturm- und Drangzeit in die Ruhe und Ordnung der Klassik. Dabei half ihm seine ältere Freundin Frau von Stein, die Frau eines Hofbeamten.

Klassik bedeutet immer etwas Vollkommenes, etwas Allgemeingültiges. Die damalige Klassik entstand aus der Verbindung von Vernunft (Aufklärung) und Gefühl (Sturm und Drang): das Gefühl wird bejaht, aber gebändigt[7] und in Schranken gehalten durch die Vernunft. So entsteht der harmonische, der ideale Mensch. Das große Vorbild war dabei das griechische und römische Altertum.

Deshalb beschreibt Goethe jetzt in seinen Dramen und Gedichten Menschen, die nach Vollkommenheit streben und vollkommen werden. Dadurch befreien sie sich und andere vom Schlechten, von Not und Schuld. Die griechische Königstochter Iphigenie in Goethes Drama „Iphigenie auf Tauris“ ist zum Beispiel solch ein Mensch.

Von 1786 bis 88 machte Goethe die für ihn sehr wichtige Reise nach Italien. Durch die Kunstschätze dort und seine ungezählten Begegnungen mit Menschen bekam er viele neue Anregungen.

Und Goethe wurde dort auch ein noch freierer Mensch. Schon immer hatte er sein Leben sehr nach seinen eigenen Wünschen und Vorstellungen geführt. Alle Vorschriften, aller Zwang waren ihm verhaßt. Jetzt, nach seiner Rückkehr nach Weimar, nahm er ein junges, einfaches Mädchen namens Christiane Vulpius zu sich in sein Haus. Er bekam mit ihr mehrere Kinder. Aus der Kritik der Weimarer Gesellschaft an seinem Verhältnis machte er sich nichts. Von seinen Kindern blieb allerdings nur sein Sohn August am Leben.

Naturwissenschaft

Nach seiner Rückkehr aus Italien zog Goethe sich von den Menschen in Weimar zurück. Er dichtete auch nicht mehr so viel. Statt dessen beschäftigte er sich jetzt mehr mit der Naturwissenschaft. In der Optik interessierte ihn besonders die Lehre von den Farben.

Goethe sprach zwar häufig von „Gott“, aber ebenso oft von der „Gottheit“ oder der „Vorsehung“. Er sah „Gott“ überall in der Natur und in besonders bedeutsamen Menschen. Wir nennen diesen Glauben „Pantheismus“.

Am 7. September 1788 lernte Goethe den Dichter Friedrich von Schiller in Rudolfstadt kennen. Dieser ermunterte ihn, wieder mehr zu schreiben. Auch Goethe half Schiller bei der Entstehung seiner Dramen. Zwischen beiden entstand eine Freundschaft, die bis zu Schillers Tod 1805 anhielt. Beide Männer hatten große Hochachtung voreinander.

1806 besetzten französische Soldaten unter Napoleon Weimar. Als sie in Goethes Haus eindrangen, um zu plündern[8], kam Goethe in Lebensgefahr. Die mutige Christiane rettete ihn. Daraufhin hat Goethe sie schließlich geheiratet.

Aber Goethe hat vor und neben Christiane noch häufig andere Frauen geliebt, auch körperlich, und das bis an sein Lebensende. Jedoch heiraten wollte er keine, er wollte sich nicht binden. Manche Frau hat er unglücklich zurückgelassen.

Der „Weise von Weimar“

Allmählich wurde Goethe immer berühmter. Viele Leute kamen nach Weimar, um ihn zu sehen. Aber Goethe zog sich von den Menschen zurück. Er baute sich sein eigenes Reich des Wahren und Schönen auf. Politik interessierte ihn nicht. Napoleon, der damals größtes Elend über Europa brachte, bewunderte er als einen großen Menschen, als ein „Genie“. Von den damals in Europa entstehenden nationalen und demokratischen Regungen wollte er nichts wissen. Die neue Bewegung der „Romantik“ mit ihrer Vorliebe für Märchen und Irrationales[9] lehnte er ab.

Goethe meinte, er müsse auch in seiner äußeren Erscheinung vorbildlich sein, ein vollkommenes Bild darstellen. Deshalb begegnete er seinen Besuchern im Alter mit viel Würde. Er erwartete, daß die Menschen vor ihm Achtung und Respekt hatten. Alle Unordnung, alles Häßliche war ihm verhaßt. Darum durfte auch niemand in seiner Gegenwart von Krankheit oder Tod sprechen.

Im Alter hat Goethe noch mehrmals Frauen heftig geliebt. Daraus entstanden sein Roman „Die Wahlverwandtschaften“ und seine Liedersammlung „West-östlicher Diwan“. Seine erste Lebenshälfte erzählt er in seiner Biographie „Dichtung und Wahrheit“.

Bis an sein Lebensende hat Goethe an seinem „Faust“-Drama gearbeitet. In ihm beschreibt er, wie Faust, also der Mensch, aus allem Irrtum und aller Schuld seines Lebens schließlich zur Klarheit und Erlösung in „Gott“ findet. Rüstig bis zu seinem letzten Lebenstag ist Goethe 1832 in hohem Alter gestorben.

Goethe und wir

Goethe hat wunderschöne Gedichte und Dramen geschrieben. Er hat viele weise und richtige Erkenntnisse gehabt. Vieles, was er gesagt hat, wird immer richtig und wahr bleiben.

Aber kann Goethe uns auch als Mensch ein Vorbild sein? Meist hat er sich nur mit sich selber beschäftigt, mit seinen Empfindungen und Gefühlen, seinen Freuden und Leiden. Die Not anderer hat ihn nicht viel gekümmert. Freunden, die ihn um Hilfe baten, hat er häufig nicht geholfen. Seine Frau ließ er allein unter großen Schmerzen sterben. Er erwartete zwar von Eheleuten Treue in der Ehe, aber er selber hatte neben seiner Ehe noch zahlreiche andere Liebschaften.

Das lag daran, daß Goethe keine Beziehung zu dem lebendigen Gott hatte, dem himmlischen Vater. Denn Gott schenkt uns durch Jesus die Kraft, unsere Mitmenschen opferbereit zu lieben und in der Ehe treu zu sein. Wenn wir Jesus in unser Leben hineinnehmen, macht er uns zu neuen Menschen, zu Kindern Gottes. Wir bekommen dann Gottes Liebe zu spüren. Gott schenkt uns dann ewige Geborgenheit, ein ewiges Dasein bei sich. Wir werden erst dadurch richtig frohe Menschen.

Goethe wollte aber von Gottes Hilfe durch Jesus nichts wissen. Er verehrte Jesus nur als einen besonders großen Menschen, aber nicht als seinen Helfer und Retter im Leben. Er meinte, er könne sich selber, aus eigener Kraft, in einen guten, vorbildlichen Menschen verwandeln. Er meinte, er könne sein Leben ohne Gott bewältigen.

Weil Goethe Gottes Hilfe in Jesus ablehnte, war er im tiefsten kein glücklicher Mensch, auch wenn es ihm äußerlich im Leben immer gut ging. Er sagte selber, daß er nicht viele frohe Stunden in seinem Leben gehabt habe. Er lebte in ständiger Angst vor dem Tod. Von daher können wir Goethe eigentlich nur sehr bedauern, und in diesen Dingen kann uns der große Dichterfürst kein Vorbild sein.

Hans Misdorf

Die bekanntesten Prosatexte und Dramen von J.W.v. Goethe:
Götz von Berlichingen (1773); Clavigo (1774); Die Leiden des jungen Werther (1774); Iphigenie auf Tauris (1787); Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795/96); Faust (1808); Die Wahlverwandschaften (1809); Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit (1811/14); Faust II (1832).

Einige der bekanntesten Lyriktexte von J.W.v. Goethe:
Heidenröslein („Sah ein Knab’ ein …“); Der König in Thule (Ballade); Das Göttliche („Edel sei der Mensch …“); Ein Gleiches („Über allen Gipfeln ist Ruh …“); Erlenkönig (Ballade); Gefunden („Ich ging im Walde …“); Der Zauberlehrling (Ballade).

Wir haben auch noch einen zweiten, kürzeren Artikel über Goethe für Sie!

Weitere Informationen über Goethe:

[1] gewinnend: (hier): für andere Menschen angenehm und zugänglich sein
[2] die Spontaneität: [-n(e)i’tät] ein schnelles und einem plötzlichen inneren Antrieb folgendes Verhalten
[3] die Anarchie: der Zustand, bes. in einem Staat, in dem es weder Herrschaft noch Ordnung gibt; Chaos
[4] trocken: (hier) sachlich und daher oft langweilig und ohne Phantasie
[5] depressiv: traurig und mutlos
[6] die Verdorbenheit: die (moralische) Schlechtigkeit (des Charakters)
[7] etw. bändigen: etw. unter Kontrolle bringen; beherrschen
[8] plündern: (hier) aus Geschäften und Häusern Dinge stehlen
[9] irrational: unberechenbar, mit dem Verstand nicht faßbar, gegen die Vernunft oder nicht durch sie erklärbar