Die Brüder Grimm: Jacob und Wilhelm Grimm ***

Am 4.Januar 1785 wurde Jacob Grimm in Hanau geboren, sein Bruder Wilhelm am 24.Februar 1786. So unzertrennlich wie ihre Namen heute noch sind, lebten die Brüder ihr ganzes Leben lang. Nach dem frühen Tod des Vaters wuchsen sie in sehr bescheidenen Verhältnissen auf. Die finanzielle Unterstützung einer Tante ermöglichte ihnen ein Jurastudium in Marburg. Fast gleichzeitig entdeckten die Brüder ihre Neigung für alte Sprachen und Dichtung, deren Erforschung sie ihr weiteres Leben widmeten. Gemeinsam veröffentlichten sie eine Sammlung von deutschen Volksliedern und in den Jahren 1812-1814 die weltbekannt gewordenen „Kinder- und Hausmärchen“ in 2 Bänden, die neben 60 Märchen alle Formen der Volkspoesie enthalten wie Legenden, Scherz- und Gruselgeschichten, sowie Tiererzählungen. Nach einer Tätigkeit im Auswärtigen Amt ging Wilhelm Grimm 1814 als Bibliothekar nach Kassel, wenig später folgte ihm Jacob nach. Auch Wilhelms Heirat im Jahre 1825 änderte nichts daran, dass der Lebensweg der beiden Brüder weiterhin parallel verlief. Sie nahmen beide einen Ruf an die Universität Göttingen an, teilten dort die Wohnung und arbeiteten Tür an Tür.

1840 wurden die Brüder von König Friedrich Wilhelm IV. an die Akademie nach Berlin berufen. In Berlin begannen die Brüder ihr gemeinsames Lebenswerk, die Erarbeitung eines „Deutschen Wörterbuchs“, das den Wortschatz der deutschen Sprache aus 400 Jahren in alphabetischer Reihenfolge erfassen und für jedermann verständlich erklären sollte.

Die Brüder Grimm hatten das Wörterbuch zunächst auf 4-6 Bände geplant und glaubten, diese Arbeit in vier Jahren bewältigen zu können. Seine Vollendung dauerte jedoch 100 Jahre, denn erst 1961 kam es zu einem vorläufigen Abschluss. Aus den geplanten 4-6 Bänden wurden 33 Bände. Es ist bis heute das umfangreichste und wissenschaftlich bedeutendste Wörterbuch der deutschen Sprache.

Jacob Grimms Leben war äußerlich bewegter als das seines Bruders. Er arbeitete als Sekretär in öffentlichen Aufgaben, doch ließen ihm seine Amtsgeschäfte genügend Zeit für wissenschaftliche Studien. So arbeitete er nebenbei intensiv an seiner „Deutschen Grammatik“, mit der er die deutsche Philologie begründete.

Hans im Glück **

Hans hatte sieben Jahre bei seinem Herrn gedient, da sagte er eines Tages zu ihm: „Herr, meine Zeit ist um, gebt mir meinen Lohn, ich möchte nach Hause zu meiner Mutter zurückkehren.“ Der Herr antwortete: „Du hast treu und fleißig gearbeitet. Wie deine Arbeit war, so soll dein Lohn sein.“ Und er gab Hans ein großes Goldstück. Hans wickelte das Goldstück in ein Tuch und legte es sich auf die Schulter und machte sich auf den Heimweg. Da kam ihm ein Reiter entgegen. „Ach“, sprach Hans ganz laut, „was ist Reiten doch so schön. Da sitzt man hoch oben, stößt sich an keinen Stein, schont die Schuhe und kommt ohne Mühe schnell vorwärts.“ Der Reiter hielt sein Pferd an und rief: „Hallo Hans, warum gehst du zu Fuß und hast doch so schwer zu tragen?“ „Ich muss ja wohl“, antwortete Hans. „Ich habe einen Klumpen Gold heimzutragen. Der drückt mich auf die Schulter.“ „Weißt du was“, sagte der Reiter, „wir wollen tauschen. Ich gebe dir mein Pferd, und du gibst mir deinen Goldklumpen.“ „Von Herzen gern“, antwortete Hans. Der Reiter nahm das Gold, half Hans auf das Pferd, und dieser ritt – hopp, hopp – davon. Aber bald lief das Pferd so schnell, dass Hans sich nicht mehr im Sattel halten konnte und in einen Graben fiel.

Da kam ein Bauer daher, der eine Kuh vor sich her trieb. Der Bauer half Hans wieder auf die Beine, Hans bedankte sich und sagte: „Das Reiten macht keinen Spaß, da finde ich Eure Kuh besser, die so schön langsam läuft. Und von einer Kuh hat man hat man jeden Tag Milch, Butter und Käse.“

„Nun“, sprach der Bauer, „wenn du so großen Gefallen an meiner Kuh hast, so will ich sie dir gern für dein Pferd geben.“ Hans sagte froh ja. Wenn ich ein Stück Brot habe, so kann ich nun immer Butter und Käse dazu essen, hab ich Durst, so melke ich meine Kuh und trinke Milch. Herz, was willst du mehr, dachte Hans und zog mit der Kuh davon. Gegen Mittag brannte die Sonne immer heißer, und Hans wurde sehr durstig. Also band er seine Kuh an einen Baum und bemühte sich, die Kuh zu melken. Da er keinen Eimer hatte, legte er seine Ledermütze unter. Aber so sehr er sich auch bemühte, es kam kein Tropfen Milch. Und weil er so ungeschickt war, gab ihm die Kuh mit einem der Hinterfüße einen solchen Schlag vor den Kopf, dass er zu Boden stürzte und vor Schmerz fast wie betäubt[1] war.

Glücklicherweise kam gerade ein Metzger vorbei, der auf einem Karren ein junges Schwein transportierte. „Ach“, sagte Hans, „wer so ein Schwein hat, dem geht`s wirklich gut. Wenn man es schlachtet, bekommt man saftigen Braten und viel gute Wurst.“ „Einverstanden“, sagte der Metzger. „Dir zuliebe will ich mein Schwein gegen deine Kuh tauschen.“

Hans zog ganz glücklich weiter, weil alles nach seinen Wünschen ging. Bald begegnete er einem Jungen, der eine große, schöne Gans unterm Arm trug. Sie machten gemeinsam Rast, und Hans erzählte, wie er immer so vorteilhaft getauscht hatte. Aber der Junge schüttelte bedenklich[2] den Kopf. „Mit deinem Schwein ist wohl etwas nicht ganz richtig“, sagte er mit ernster Stimme.

„Im Dorf ist dem Bürgermeister ein Schwein aus dem Stall gestohlen worden. Ich fürchte, du hast dieses Schwein eingetauscht. Die Dorfleute suchen schon nach dem Dieb, und es wäre schrecklich für dich, wenn sie dich mit dem Schwein erwischten[3] Da erschrak Hans sehr. „Hilf mir doch, nimm das Schwein und gib mir die Gans“, bettelte er. Der Junge willigte ein und ging rasch davon. Hans freute sich und dachte: wie wird meine Mutter staunen, wenn sie die prächtige[4] Gans sieht!

Als er in das nächste Dorf kam, stand da ein Scherenschleifer[5] mit seinem Karren[6], der fragte Hans: „Wo hast du die schöne Gans gekauft?“ Hans antwortete: „Die habe ich nicht gekauft, sondern für ein Schwein eingetauscht.“ „Und das Schwein?“ „Das habe ich für eine Kuh bekommen.“ „Und die Kuh?“ „ Die habe ich für ein Pferd gekriegt.“ „Und das Pferd?“ „Dafür habe ich eine großen Klumpen Gold gegeben.“ „Und das Gold?“ „Das war mein Lohn für sieben Jahre Arbeit.“

„Wenn du deine Taschen immer voll Geld haben willst, so musst du dir einen Schleifstein kaufen und ein Schleifer werden. Da habe ich einen Wetzstein[7] für dich, der ist zwar ein wenig schadhaft, aber ich will auch nicht mehr dafür als deine Gans.“ Hans dachte nach: Habe ich immer Geld in der Tasche, so bin ich der glücklichste Mensch in der Welt. Er gab dem Schleifer die Gans und nahm den Wetzstein.

Weil Hans seit dem frühen Morgen auf den Beinen war und große Strecke hinter sich hatte, wurde er müde. Er setzte sich an den Rand eines Brunnens, um auszuruhen und zu trinken. Den Wetzstein legte er neben sich auf den Brunnenrand. Er beugte sich ein wenig hinab, um zu trinken. Da fiel der Wetzstein plötzlich in den Brunnen. Hans sprang vor Freude auf. Er war so froh, dass er den schweren Stein nicht mehr schleppen musste. „Jetzt bin ich der glücklichste Mensch in der Welt, befreit von aller Last“, rief er erleichtert. Mit frohem Herzen lief er ganz schnell weiter, erreichte bald sein Heimatdorf und fiel seiner Mutter in die Arme.

Nach den Brüdern Grimm

Der Artikel erschien in „Der Weg“ 3/2006

[1] betäubt sein: (hier) eine begrenzte Zeit bewusstlos sein
[2] bedenklich: (hier) voller Bedenken ? skeptisch, nachdenklich, besorgt
[3] erwischen: (hier) jemanden, der etwas Verbotenes getan hat, fangen (und festnehmen)
[4] prächtig: prachtvoll, sehr schön
[5] der Scherenschleifer: ein Mann, der Scheren und Messer scharf macht
[6] der Karren / die Karre: ein einfaches, kleines, ein- bis vierrädriges Fahrzeug
[7] wetzen: ein Messer o.Ä. an einem harten Gegenstand reiben, damit es scharf wird und besser schneidet