Heinrich Heine – der „entlaufene Romantiker“

Vor 150 Jahren ist Heinrich Heine gestorben, einer der unbequemsten und am meisten missverstandene Dichter Deutschlands.

Heinrich Heine (1797 – 1856) nahm im gesellschaftlichen und literarischen Leben seiner Zeit eine Außenseiterposition[1] ein. Seine wichtigsten Werke entstanden in einer politisch sehr bewegten Zeit, die in die deutsche Literaturgeschichte unter dem Begriff „Vormärz“ eingegangen ist. Gemeint ist damit die Zeit vor der ersten bürgerlichen Revolution in Deutschland 1848/49. Unter der Bezeichnung „Vormärz“ werden unterschiedliche literarische Strömungen zusammengeführt, ohne dass damit eine Festlegung auf bestimmte literarische Kategorien erfolgt. Heine war einerseits Nachfahre der deutschen Romantik, andererseits auch deren Überwinder. Er selbst bezeichnete sich als „entlaufenen Romantiker“. Politisch distanziert er sich von den radikalen Demokraten und Dichtern des „Vormärz“, indem er ihren Zielen die Forderung nach Lebensfreude und ästhetischer Schönheit entgegenstellt.

Ein romantischer und ironischer Dichter

Heines Werk lässt sich in drei Phasen einteilen: In seiner Jugend schrieb er Gedichte, die der Deutschen Romantik nahe stehen. 1827 entstand das „Buch der Lieder“. Ausschlaggebend für die Popularität dieser Gedichtsammlung ist der volksliedhafte Charakter dieser Gedichte, von denen viele von Robert Schumann und Franz Schubert vertont wurden. Ein häufiges Thema ist die aussichtslose, unerfüllte Liebe. Jedoch wird anders als in der Romantik jede übertriebene Gefühlsintensität von Heine parodiert. Sentimentalität und Ironie stoßen aufeinander. Die stimmungsvolle[2] Idylle wird immer wieder ironisch gebrochen, so z. B. in den folgenden Versen:

Das Fräulein stand am Meere
und seufzte lang und bang
Es rührte sie so sehre
der Sonnenuntergang.

Mein Fräulein, sei`n sie munter,
das ist ein altes Stück:
hier vorne geht sie unter
und kehrt von hinten zurück.

Blamier` mich nicht, mein schönes Kind,
und grüß mich nicht unter den Linden.
Wenn wir nachher zu Hause sind,
wird sich schon alles finden.

Ein zeit- und gesellschaftskritischer Dichter

In der zweiten Phase seines Schaffens in den 30er/40er Jahren tritt Heines Interesse an der gesellschaftlichen Realität in den Vordergrund. Seine Forderung lautet: eine neue Literatur für eine neue Zeit. Heine verlangt von den Schriftstellern, Stellung zu nehmen zu den politischen Ereignissen, um dadurch die gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland voranzutreiben. Deutlich wird dies in den „Neuen Gedichten“ von 1848. In dieser Zeit entsteht eine Vielzahl von satirischen Texten und Gedichten, die wegen der strengen Zensur oft nur in verdeckter[3] Weise Gesellschaftskritik enthalten.

So seine 1844 entstandene Verserzählung „Deutschland. Ein Wintermärchen“. Meisterhaft kombiniert Heine hier Formen des Reiseberichts mit Zeitkritik. Die Abschaffung der Zensur ist Voraussetzung für eine Liberalisierung in Deutschland, die die Schaffung eines deutschen Nationalstaates zum Ziel hat.

Bereits in seinen Reisebildern („Heimkehr“, „Die Nordsee“, „Die Harzreise“), die ab 1826 erscheinen, tritt Heine als kritischer Betrachter der gesellschaftlichen Zustände in Deutschland auf. Oberflächlich erscheinen diese Texte wie harmonische Landschaftsbeschreibungen voll sprachlicher Schönheit, aber zwischen den Stimmungsbildern findet sich beißende Ironie an den gesellschaftlichen Missständen.

In „Deutschland. Ein Wintermärchen“ verarbeitet Heine Eindrücke seiner ersten Reise nach Deutschland aus dem französischen Exil:

Im traurigen Monat November war`s
die Tage wurden trüber,
der Wind riss von den Bäumen das Laub,
da reist ich nach Deutschland hinüber.

Ein kleines Harfenmädchen sang.
Sie sang mit wahrem Gefühle
und falscher Stimme, doch ward ich sehr
gerühret von ihrem Spiele.
Sie beschnüffelten[4] alles, kramten[5] herum
in Hemden, Hosen, Schnupftüchern.
Sie suchten nach Spitzen, nach Bijouterien[6]
auch nach verbotenen Büchern.

Ihr Toren[7], die ihr im Koffer sucht!
Hier werdet ihr nichts entdecken!
Die Contrebande[8], die mit mir reist,
die hab` ich im Kopfe stecken!

Ein von schwerer Krankheit gezeichneter Dichter

Die dritte Schaffensperiode Heines ist überschattet[9] von schwerer Krankheit, die ihn für die letzten Lebensjahre ans Bett fesselt. In dieser Zeit entstehen das Versepos „Atta Troll“ und der Gedichtband „Romanzero“. Es ist häufig vermutet worden, dass die bizarren, oft schwer verständlichen Inhalte dieser Gedichte zunehmend auf den Einfluss starker Schmerzmedikamente zurückzuführen ist. Neben der Hinwendung zu mythologischen und historischen Stoffen beschäftigt Heine in den Jahren vor seinem Tod die Frage nach Gott, nach der Erlösung des Menschen durch Gott. In seinem Testament bekennt Heine kurz vor seinem Tod: „Ich sterbe im Glauben an einen einzigen Gott, den ewigen Schöpfer der Welt.“

Heine starb am 17. Februar 1856 in Paris. Drei Tage nach seinem Tod wurde er auf dem Friedhof Montmartre beerdigt. Auf dem Grabstein sind seine Verse zu lesen:

 

Wo wird einst des Wandermüden
letzte Ruhestätte sein?
Unter Palmen in dem Süden,
unter Linden an dem Rhein?
Werd ich wo in einer Wüste
eingescharrt von fremder Hand?
Oder ruh ich an der Küste
eines Meeres in dem Sand?

Immerhin mich wird umgeben
Gottes Himmel, dort wie hier,
und als Totenlampen schweben
nachts die Sterne über mir.

 

Gedichte

Die blauen Frühlingsaugen
schau`n aus dem Gras hervor.
Das sind die lieben Veilchen,
die ich zum Strauß erkor.

Ich pflücke sie und denke,
und die Gedanken all,
die mir im Herzen seufzen,
singt laut die Nachtigall.

Ja, was ich denke, sing ich
laut schmetternd, dass es schallt.
Mein zärtliches Geheimnis
weiß schon der ganze Wald.

Herz, mein Herz sei nicht beklommen
und ertrage dein Geschick.
Neuer Frühling gibt zurück,
was der Winter dir genommen.

Und wie viel ist dir geblieben,
und wie schön ist noch die Welt!
Und, mein Herz, was dir gefällt,
alles, alles darfst du lieben!

Im wunderschönen Monat Mai,
als alle Knospen sprangen,
da ist in meinem Herzen
die Liebe aufgegangen.

Im wunderschönen Monat Mai,
als alle Vögel sangen,
da hab ich ihr gestanden
mein Sehnen und Verlangen.

Der Schmetterling ist in die Rose verliebt,
umflattert sie tausendmal.
Ihm selber aber, goldig zart,
umflattert der liebende Sonnenstrahl.

Jedoch, in wen ist die Rose verliebt?
Das wüßt’ ich gar zu gern.
Ist es die singende Nachtigall?
Ist es der schweigende Abendstern?

Ich weiß nicht, in wen die Rose verliebt,
ich aber lieb euch all:
Rose, Schmetterling, Sonnenstrahl,
Abendstern und Nachtigall

Ich hatte einst ein schönes Vaterland.
Der Eichenbaum
Wuchs dort so hoch, die Veilchen nickten sanft.

Es war ein Traum.
Das küsste mich auf Deutsch und sprach auf Deutsch
(Man glaubt es kaum
Wie gut es klang) das Wort: „Ich liebe dich!“
Es war ein Traum

Du bist wie eine Blume
so hold und schön und rein;
ich schau‘ dich an, und Wehmut
schleicht mir ins Herz hinein.
Mir ist, als ob ich die Hände
aufs Haupt dir legen sollt‘,
betend, dass Gott dich erhalte
so rein und schön und hold.

Zitate

„Dies war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.“ (aus: „Almansor“)

„Das Volk steinigt gern seine Propheten, um ihre Reliquien desto inbrünstiger zu verehren; die Hunde, die uns heute anbellen, morgen küssen sie gläubig unsere Knochen!“ (aus: „Ludwig Börne“)

„Du fragst mich, Kind, was Liebe ist? Ein Stern in einem Haufen Mist.“ (aus: „Neue Gedichte“)

„Das ist schön bei uns Deutschen; keiner ist so verrückt, dass er nicht einen noch Verrückteren fände, der ihn versteht.“ (aus: „Die Harzreise“)

„Eine Revolution ist ein Unglück, aber ein noch größeres Unglück ist eine verunglückte Revolution.“ (aus: „Ludwig Börne“)

 

Der Artikel erschien in „Der Weg“ 2/2006

Biografie von Heinrich Heine

 

[1] der Außenseiter: jemand, der sich nicht an die Normen einer Gruppe oder Gesellschaft anpasst und deshalb nicht in sie integriert ist.
[2] stimmungsvoll: harmonisch
[3] verdeckt: nicht offen
[4] beschnüffeln: genau überprüfen
[5] kramen: herumsuchen
[6] die Bijouterie [billiger bzw. unechter] Schmuck
[7] der Tor: Mensch ohne Verstand
[8] Waren, deren Ein- oder Ausfuhr verboten sind ( aus dem Französischen bzw. Italienischen)
[9] etw. wird von etw. überschattet ein an sich positives Ereignis wird durch ein Unglück o.Ä. stark beeinträchtigt