Heinrich Mann, der „deutsche Europäer“ ****

Heinrich Mann (1871-1950), der engagierte gesellschaftskritische Satiriker und Chronist seiner Zeit, stand viele Jahre im Schatten seines Schriftsteller-Bruders Thomas Mann und wurde erst seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts von der breiten literarischen Öffentlichkeit geschätzt.

Eine ungewöhnliche Karriere

Heinrich Mann entstammt einer hoch angesehenen Lübecker Kaufmannsfamilie. Seinem Vater, dem Senator Johann Thomas Mann, lag das öffentliche Wohl der Stadt sehr am Herzen, er unterstützte tatkräftig arme, ins Unglück geratene Bürger. Als ältester Sohn war Heinrich Mann dazu bestimmt, die alte Handelsfirma zu übernehmen. Er erhielt eine vorzügliche Bildung am Gymnasium. Jedoch ließ er es an Fleiß und Aufmerksamkeit fehlen, wie ihm die Lehrer wiederholt bestätigten. Zur großen Enttäuschung der Eltern verlässt er vorzeitig das Gymnasium und beginnt 1889 eine Lehre als Buchhändler in Dresden, die er jedoch nach einem Jahr abbricht. Danach arbeitet er als Volontär im S. Fischer Verlag Berlin und bestreitet seinen Lebensunterhalt notdürftig aus dem Anteil an den Vermögenszinsen, die er nach dem Tod des Vaters ererbt hat. Hier in Berlin entstehen seine ersten literarischen Versuche: Kurzerzählungen und Theaterkritiken. Trotz seiner labilen Gesundheit wechselt H. Mann in den folgenden Jahren häufig seinen Wohnsitz, lebt in Frankreich und Italien. Nach der Novelle „Das Wunderbare“ erscheint 1903 der dreiteilige Roman „Die Göttinnen“. Während in den Frühwerken noch ästhetisch-emotionale Themen im Mittelpunkt standen, treten in den folgenden Werken zunehmend zeitkritisch satirische Züge in den Vordergrund, so in dem Roman „Im Schlaraffenland“(1900), der den Untertitel trägt „Ein Roman unter feinen Leuten.“ Als wichtig gilt, zur „feinen Gesellschaft“ dazuzugehören.

Ein brillanter Satiriker

Als brillanter Satiriker erweist sich H. Mann auch in dem Roman „Professor Unrat“(1905). In der Gestalt des Gymnasialprofessors Raat – von allen Schülern nur „Unrat“ genannt -, kritisiert der Schriftsteller mit erbarmungsloser[1] Schärfe das übersteigerte[2] Autoritätsdenken zu Anfang des 20. Jahrhunderts, wobei die Schule ihm nur als Modell dient. Das Buch wird 1931 nach einem Drehbuch von Carl Zuckmayer unter dem Titel „Der Blaue Engel“ mit Marlene Dietrich und Emil Jannings in den Hauptrollen verfilmt.

In dem folgenden Roman „Der Untertan“ (1916) wird der militaristische Ungeist[3], der geradewegs in den 1. Weltkrieg führte, angeprangert. Der Roman zeichnet ein sarkastisches Porträt des deutschen Spießbürgers[4] ohne besondere Talente, dessen einziger Ehrgeiz die unbedingte Nähe zu den Herrschenden und zur Macht darstellt und der durch seinen Untertanengeist eine große politische Gefahr ist.

Im Jahr 1914 brachen die Beziehungen zwischen Heinrich und seinem Bruder Thomas Mann völlig ab. Ursache war die Bejahung des Krieges durch Thomas Mann. Heinrich Mann hingegen verfasst mehrere Essays, in denen er die national-chauvinistische[5] Stimmung in Deutschland scharf verurteilt. Er setzt sich konsequent für die Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich ein auf der Basis demokratischer Strukturen, auch in den Jahren der Weimarer Republik.

In der Emigration

Als einer der ersten Intellektuellen wird Heinrich Mann nach der Machtergreifung Hitlers ausgebürgert und emigriert noch im Jahr 1933 nach Frankreich. Im französischen Exil schreibt er gemeinsam mit Andre Gide und Lion Feuchtwanger für antifaschistische Zeitschriften. Bis 1940 lebt er in Nizza, wo er seine historische Romantrilogie über Heinrich IV. vollendet. 1940 flieht er aus dem besetzten Frankreich über Spanien und Portugal nach Los Angeles/USA. Wie viele Intellektuelle leidet Heinrich Mann sehr unter dem Verlust der Muttersprache und der eigenen Kultur.

1942 vollendet er sein großes Werk „Ein Zeitalter wird besichtigt“. Dieses Werk ist mehr als eine Autobiografie: H. Mann betrachtet Europa seit der Aufklärung, er schreibt über seine Liebe zu Frankreich, seine Sympathien für die Ideen der Französischen Revolution von 1789, über die Hintergründe des Scheiterns der Weimarer Republik in Deutschland und den Verfall des intellektuellen und politischen Lebens nach der Machtergreifung Hitlers. Eine Veröffentlichung dieses Alterswerks in den USA scheitert jedoch. Die materielle Situation des Schriftstellers bleibt weiterhin sehr angespannt. Er ist auf finanzielle Zuwendungen seines Bruders Thomas angewiesen, mit dem er sich im Exil ausgesöhnt hat. Nach dem Selbstmord seiner Frau leidet H. Mann häufig an Depressionen. Er stirbt 1950 in Santa Monica/Kalifornien kurz vor seiner geplanten Rückkehr nach Ostberlin, wo ihm die Präsidentschaft der Deutschen Akademie der Künste der DDR angeboten worden war.

Heinrich Mann gilt heute als einer der bedeutendsten Vertreter engagierter gesellschaftskritischer Literatur im Deutschland der Weimarer Republik und als klassischer Autor der Moderne.

Der Artikel erschien in „Der Weg“ 3/2008

Artikel als Hörtext

[1] mitleidslos
[2] übertrieben
[3] falsches Denken
[4] ein Mensch, der sich ängstlich an gesellschaftliche Normen hält
[5] der Chauvinismus: aggressiv übersteigerter Nationalismus [militaristischer Prägung] verbunden mit Nichtachtung anderer Nationalitäten