Immanuel Kant – ein großer Philosoph ***

Als die russischen Truppen 1945 Königsberg (heute Kaliningrad) in Ostpreußen erstreckt[1] eroberten, beschützten sie das Grabmal des Philosophen Kant. Vor zweihundert Jahren starb er. Kant war vielleicht der größte Philosoph der Neuzeit.

Geboren wurde Immanuel Kant 1724 in Königsberg. Er wuchs in einem frommen[2] Elternhaus auf. Sein Vater war ein einfacher Handwerker. Mit 46 Jahren wurde Kant Professor für Metaphysik[3] an der Königsberger Universität.

Ein gründlicher Denker

Kant war ein gründlicher Denker[4], und deshalb fragte er: Was können wir von den Dingen um uns herum erkennen und wie können wir das? Er entdeckte: Erkenntnis kommt dadurch zustande, dass wir die zusammenhanglosen Dinge der Außenwelt durch unseren menschlichen Geist ordnen, verständlich machen. Zum Beispiel mit Hilfe von Raum und Zeit und Ursache und Wirkung. Das beschreibt Kant in seiner Schrift „Kritik[5] der reinen Vernunft[6].

Kant sagt damit: Der Mensch kann mit seinem Geist, seiner Vernunft nicht alles[7]. Er ist abhängig von den Dingen der Außenwelt. Aber die Außenwelt, die Materie[8], beherrscht auch nicht den Menschen[9]. Der Mensch kann sie durch seinen Geist ordnen, in den Griff kriegen[10].

Auf diese Weise versöhnte Kant Idealismus[11] und Materialismus. Er überwand damit die Aufklärung des 18. Jahrhunderts und wirkte dadurch mit an der Entstehung der deutschen Klassik[12].

Gott, nur ein „höchstes Wesen“?

In seiner Schrift „Kritik der praktischen Vernunft“ sagt Kant: Gott kann der Mensch allerdings nicht erkennen, weder in der Natur noch in der Geschichte, denn er kann Gott ja nicht sehen. Trotzdem muss es Gott geben, denn jeder Mensch weiß um Gut und Böse. Es muss jemanden geben, der das Böse einmal bestraft und das Gute belohnt. Das ist Gott. Darum muss der Mensch auch Unsterblichkeit[13] besitzen.

Kant forderte zwar Ehrfurcht[14] vor Gott und der Bibel, aber Gott war für ihn nur der Schöpfer der Welt. Mit dem Alltagsleben hat Gott kaum etwas zu tun. Jesus als den Versöhner[15]mit Gott kannte Kant nicht. So hatte Kant nur eine schwache, undeutliche Vorstellung von Gott. Religion war für ihn hauptsächlich Moral. Mit seinem „Kategorischen[16] Imperativ“ lehrte Kant eine strenge Ethik.

Aber Gott ist nicht nur eine Forderung der Moral. Er ist vielmehr eine lebendige Person. Schon am wunderbaren Aufbau der Natur erkennen wir Gottes Größe und Lebendigkeit. Und wer an Gott glaubt, spürt[17] immer wieder, wie Gott mit ihm redet, auf seine Gebete antwortet, in seinem Leben handelt.

Kants Wirkung ist bis heute ungeheuer groß, direkt und indirekt, positiv aber auch negativ. In Deutschland spricht man wenig von Gott als einer lebendigen, erfahrbaren Person, auch nicht in der Theologie[18]. Für viele ist Gott nur ein bloßer Gedanke, ein unbestimmtes „höchstes Wesen“. Dies liegt mit an Kant.

Ein ruhiges Leben

Kant liebte die Ordnung. Er stand täglich um fünf Uhr morgens auf. Wenn ein Schreibgerät oder eine Schere nur etwas von ihrem Platz verschoben waren oder wenn ein Stuhl nicht an seinem gewohnten Platz stand, wurde er unruhig und verzweifelt. Nach seinem Spaziergang immer zur gleichen Zeit stellten seine Nachbarn ihre Uhren. Königsberg hat Kant selten verlassen, Ostpreußen nie.

Kant war nicht verheiratet. Er meinte, unverheiratete Männer bleiben länger jung, „vielleicht, weil sie kein (Ehe-) Joch[19] tragen müssen“. Aber trotz seiner pedantischen[20] Art war Kant ein froher Mensch. Er liebte heitere Gespräche im Kreis seiner Freunde und scherzte gern. 1804 starb er. Seine letzten Worte waren: „Es ist gut“.

Hans Misdorf


[1] Das frühere deutsche Ostpreußen wurde nach dem zweiten Weltkrieg zwischen Russland und Polen aufgeteilt.
[2] fromm: in festem Glauben an eine Religion
[3] die Metaphysik: eine Disziplin der Philosophie, in der man über die Voraussetzungen des Lebens und über die Grundlagen der Welt nachdenkt; Philosophie und Religion
[4] Das Grübeln, Philosophieren und Theoretisieren ist besonders eine deutsche Eigenschaft, Engländer und Franzosen denken oft praktischer.
[5] die Kritik: (aus dem Griechischen; ursprgl.) die Kunst der Beurteilung; Bewertung, Begutachtung
[6] die Vernunft: die Fähigkeit des Menschen, etwas mit dem Verstand zu beurteilen und sich danach zu richten
[7] Wie die Zeit der Aufklärung meinte, in der Kant lebte.
[8] die Materie: (hier) etwas, das als Masse vorhanden ist (im Gegensatz zu Vakuum und Energie)
[9] Wie der Materialismus meint, z.B. Marx und der Kommunismus.
[10] etw. in den Griff bekommen/kriegen: etwas unter Kontrolle bringen
[11] der Idealismus: die Herrschaft der Idee, des Geistes
[12] die Klassik: Epoche, in der die Kunst (Literatur usw) eines Volkes ihren Höhepunkt erreicht hat. Die bedeutendsten Vertreter der deutschen Klassik sind Goethe und Schiller.
[13] die Unsterblichkeit: das Fortleben nach dem Tod
[14] die Ehrfurcht: Respekt vor der Würde einer Person / der Bedeutung einer Sache
[15] der Versöhner: jmd. der bewirkt, dass zwei Personen oder Gruppen, die Streit hatten, wieder in Frieden miteinander leben
[16] sehr bestimmt und mit viel Nachdruck; unbedingt, entschieden
[17] spüren: etwas empfinden, fühlen
[18] Dies ist z.B. in den USA ganz anders.
[19] das Joch: (hier) ein Zustand, den man als Belastung oder Qual empfindet
[20] pedantisch: zu genau und ordentlich – kleinlich, pingelig