Von Gott ergriffen

Eine „unmögliche Entscheidung“ ***

Der Islam ist der einzig richtige Weg zu Gott. Davon war ich fest überzeugt. In einem strengen islamischen Elternhaus im Nordsudan wurde ich erzogen. Schon mit zehn Jahren ging ich in eine Koranschule

[1]. Bald konnte ich den ganzen Koran auswendig aufsagen.

Bin ich nicht ein guter Mensch?

Als guter Muslim glaubte ich natürlich auch an Jesus, Isa genannt. Für mich war er jedoch nur einer von vielen Propheten

[2], die Gott mit einem Auftrag und einer Botschaft zu den Menschen sandte. Ich hatte noch nie Kontakt mit Christen gehabt, auch noch nie eine Bibel gesehen oder gar gelesen. Trotzdem meinte ich, über die Christen Bescheid zu wissen. Sie würden alle in die Hölle kommen, und die Bibel sei verfälscht. Niemals hatte ich eine Kirche betreten, denn ich glaubte, dass das eine unreine Stätte sei, weil die Christen drei Götter anbeten. Ich sah mich selbst als guten Menschen, weil ich den Koran auswendig kannte und viele gute Taten getan hatte.

Das darf nicht sein!

Aber dann geschah etwas, wodurch meine geordnete Welt auseinander fiel. Als ich 18 Jahre alt war, wurde mein Onkel Christ. Er war ein Imam, d.h. Vorbeter und Koranlehrer in einer Moschee. Jesus war für ihn nun nicht mehr nur der verehrungswürdige Prophet Isa, sondern er glaubte an ihn als den Sohn Gottes. Das verärgerte nicht nur mich, sondern auch meine Familie. Sie sorgten dafür, dass mein Onkel für fünf Jahre ins Gefängnis kam. Außerdem nahmen sie ihm seine Frau, seine Kinder und seinen ganzen Besitz weg. Damit wollten sie ihn zwingen, zum Islam zurückzukehren.

Ich selbst versuchte es anders: Ich wollte meinen Onkel davon überzeugen, dass er den falschen Weg gewählt hatte, und ihm helfen, wieder zum Islam zurück zu finden. Darum beschloss ich, mehr über den christlichen Glauben und über Jesus zu erfahren.

Schwierige Fragen

Da ich keine Bibel hatte, fing ich an, im Koran nachzulesen, was dort über Jesus steht – und das ist nicht wenig. Je intensiver

[3] ich mich damit beschäftigte, desto mehr tauchten[4] nun für mich selbst Fragen auf. Was war eigentlich mit seiner Kreuzigung, seinem Tod und seiner Auferstehung? Und wo ist er jetzt? Ich war sehr überrascht über die Aussage des Koran, dass Jesus bei Gott ist und lebt. Eine „Stimme“ in mir legte mir nahe, mich zu entscheiden. Will ich diesem lebendigen Jesus folgen?

Eine andere ungelöste Frage betraf die Bibel. Ich hatte gelernt, dass die Bibel verfälscht worden sei. Wann war das und warum wurde es getan? Gibt es noch eine Originalausgabe der Bibel und wo ist sie? Mit diesen Fragen ging ich zum Imam[5] der Moschee. Er konnte mir keine Antwort geben, die mich wirklich überzeugt hätte. Weil ich keine Antwort auf meine Fragen erhielt, fing ich an, zu Gott zu schreien: „Wer und wo bis du, Gott? Zeige dich mir!“.

Kann ich es wagen?

>Während dieser Zeit begegnete ich zum ersten Mal einem Christen. Er erzählte mir von Gott in einer Weise, wie ich es nicht gekannt hatte. Er begann, mit mir über das erste Buch der Bibel zu reden und über die Beziehung Gottes zu Adam und Eva, die durch eine Sünde zerstört wurde. Das öffnete mir die Augen für die Größe Gottes, der nicht Sünden zusammenzählt. Auch nur eine Sünde reicht aus, um von Gott getrennt zu sein. Dann sprach er von der Liebe Gottes und von seiner Vergebung. Er sagte, dass Jesus „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ ist und persönlich zu Menschen spricht. An diesem Abend war es mir klar: Diesen Gott möchte ich näher kennen lernen und ihm nachfolgen!

Es war jedoch für mich sehr schwierig, eine Entscheidung für Jesus zu treffen. Zum einen war mir die Erlösung zu einfach. Es fiel mir schwer zu verstehen, dass Gott mir aus seiner Liebe vergibt und ich selbst nichts dazutun kann und muss. Zum anderen dachte ich an meinen Onkel und all die Schwierigkeiten, die er bekam, als er eine Entscheidung für Jesus traf. Würde es mir genauso ergehen?

Doch Gott hatte mein Herz berührt und gab mir den Mut, an diesem Abend eine Entscheidung zu treffen. Ich lernte einen Gott kennen, der zu mir sagt: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst[6], ich habe dich bei deinem Namen gerufen: Du bist mein. “ (Jes. 43, 1)

Eine Entscheidung mit großen Konsequenzen

Diese Entscheidung für ein Leben mit Jesus veränderte mein Leben völlig. Zunächst versuchte ich, meine Entscheidung für mich zu behalten. Doch bald bemerkte meine Mutter eine Veränderung an mir. Sie fragte mich, ob ich etwa auch Christ geworden sei. Nun konnte ich es nicht mehr vermeiden, die Frage zu beantworten, und bald wusste die ganze Familie Bescheid. Besonders mein Vater und mein Großvater waren darüber sehr erschrocken. Mein Großvater setzte meinen Vater unter Druck, mich zurück zum Islam zu bringen, denn für unsere Familie war es sehr schlimm, dass nun noch ein weiteres Familienmitglied ,verloren‘ ging. Sie hofften, dass das Schicksal meines Onkels mich zur Umkehr bewegen würde. Sie würden mich nicht ins Gefängnis bringen, aber ich sollte mein Elternhaus sofort verlassen. Auch sollte ich ein Dokument unterschreiben, dass ich   obwohl der Älteste und einziger Sohn   auf jegliche Erbschaft verzichte. Mein Studium an der Universität musste ich abbrechen, da ich durch meine Zuwendung zum Christentum kein Anrecht mehr auf einen Studienplatz hatte.

Innerhalb kürzester Zeit hatte ich meine Familie verloren, und meine Freunde zogen sich vor mir zurück. Ich fand es sehr schwierig, ohne Familie zu leben. In einer Gesellschaft, in der die Familie den höchsten Stellenwert hat, musste ich lernen, mich ganz Gott anzuvertrauen. Das war nicht immer einfach. Mich tröstete, dass ich jetzt zu einer viel größeren Familie gehöre. Und zu einem Gott, den ich Vater nennen darf, und der mir nahe ist und mir hilft.

Yassir

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[1] der Koran: das heilige Buch des Islam (von Allah dem Propheten Mohammed geoffenbart; arab. „Lesung“, „Rezitation“)
[2] der Prophet: jemand, der die Lehre Gottes den Menschen erklärt und von dem man glaubt, Gott habe ihn geschickt
[3] intensiv: mit viel Arbeit, Energie, Aufmerksamkeit (verbunden)
[4] etwas taucht auf: (hier) etwas entsteht unerwartet
[5] der Imam: arab. „Führer“; Leiter des muslimischen gemeinschaftlichen Gebets
[6] erlösen: von der Schuld der Sünde befreien