Friedrich „der Große“ oder „der Zweite“?

2012 begehen wir den 300. Geburtstag des Preußenkönigs Friedrichs des Großen. Er regierte von 1740 bis 1786.

Friedrich der Große gehört zu den großen historischen Persönlichkeiten. In den letzten Jahrzehnten beurteilt man ihn jedoch zunehmend kritisch und nennt ihn heute vielfach nur noch „Friedrich den Zweiten“.

Friedrich hatte in seiner Jugend schwerste Auseinandersetzungen mit seinem Vater, dem „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. Der Vater wollte ihn zu einem Soldaten und gläubigen Christen erziehen. Friedrich hasste es jedoch, Soldat zu sein. Er spielte dagegen lieber Flöte und las Romane und die Schriften der französischen Aufklärung. Diese forderten Einhaltung der Menschenrechte, befürworteten Toleranz und kritisierten die Religion.

Der Vater war über seinen Sohn oft zornig und schlug ihn sogar. Beide, Vater und Sohn, hatten einen starken Willen.

Mit 18 Jahren versuchte Friedrich deshalb, ins Ausland zu fliehen. Er wurde dabei jedoch ertappt. Der König hätte ihn dafür fast als Deserteur[1] hinrichten lassen. Stattdessen musste Friedrichs Freund Hans von Katte sterben, der ihm bei der Flucht geholfen hatte.

Friedrich unterwarf sich jetzt seinem Vater. Er heiratete auf dessen Wunsch eine Prinzessin, die er nicht liebte. Die Ehe blieb kinderlos. Friedrich bekam ein eigenes Schloss zum Wohnen. Er wurde auf die Übernahme der Regierung vorbereitet. Seine Abneigung gegen das Soldatentum hatte er inzwischen überwunden.

Mit 29 Jahren wurde Friedrich König. Noch im selben Jahr überfiel er die reiche österreichische Provinz Schlesien und eroberte sie für Preußen. Das war nach heutigen Begriffen ein reiner Raub, aber damals nicht ungewöhnlich. Friedrich tat das, um sich Ruhm zu erwerben und um Preußen mächtiger zu machen.

Die junge österreichische Kaiserin Maria Theresia versuchte jedoch in zwei weiteren Kriegen, Schlesien zurückzugewinnen. Der längste und blutigste war der „Siebenjährige Krieg“ (1756 bis 1763). In diesen drei „Schlesischen Kriegen“ zeigte sich Friedrich als genialer Feldherr, der die meisten Schlachten gewann. Durch seine bewundernswerte Ausdauer bei großen Niederlagen und weil seine Gegnerin, die russische Zarin, plötzlich starb, blieb er schließlich Sieger.

In diesen Kriegen starben Tausende von Menschen, Soldaten und Zivilisten. Noch mehr wurden, oft in schrecklicher Weise, verwundet. Ganze Länder und Landesteile wurden verwüstet.

Nach den Kriegen setzte Friedrich sich mit großem Eifer für den Wiederaufbau seines Landes ein. Er beschäftigte sich nur noch wenig mit Flötenspiel und Vergnügungen. Um vier Uhr morgens stand er auf. Schon während des Frühstücks sah er die seit dem Vorabend angekommenen Briefe durch und trennte Unwichtiges, das er seinen Sekretären zur Erledigung überließ, von Wichtigem.

Unermüdlich sorgte Friedrich dafür, dass das Land sich wieder bevölkerte und der Wohlstand wuchs. Er schuf neue Industrien, z. B. für die Herstellung von Porzellan. Er führte den Kartoffelanbau ein (zur Vermeidung von Hungersnöten). Er sorgte dafür, dass Getreide billig an die Armen verkauft wurde. Alle Kinder mussten die Schule besuchen.

Darüber hinaus verhalf er durch Trockenlegung von Sumpf- und Moorgebieten und durch Besiedlung von ungenutztem Ödland[2] 300.000 Bauern zum Besitz eigenen Landes und damit zu Arbeit und Wohlstand.

Die damals allgemein übliche Einteilung der Bevölkerung in „Stände“ (Adlige, Bürger und Bauern) behielt Friedrich bei. Nur Adlige konnten Offiziere und hohe Beamte werden. Die Leibeigenschaft[3] der Bauern blieb bestehen, doch verringerte Friedrich ihre für ihren Gutsherrn zu leistenden Fronarbeiten. Auch achtete er streng darauf, dass der Arme vor Gericht genauso sein Recht bekam wie der Adlige.

Der Staat bestimmte vieles von dem, was die Bürger zu tun oder zu lassen hatten. So waren z. B. Luxuswaren wie Kaffee verboten. Von sich wie von seinen Untertanen verlangte Friedrich Fleiß, Pünktlichkeit und Bescheidenheit (das, was man heute noch die „preußischen Tugenden“ nennt, was die Deutschen heute allerdings zum Teil nicht mehr besitzen).

Friedrich erlaubte Meinungsfreiheit in seinem Staat; das war damals ganz ungewöhnlich: jeder durfte frei seine Meinung sagen. Die Zeitungen durften auch den König kritisieren (wenn sich der König auch in Einzelfällen dagegen wehrte).

Das 18. Jahrhundert war die Zeit der „Aufklärung“. „Das Glück der Menschen“ galt als das höchste Ziel. Für einen „aufgeklärten“ Herrscher hieß das: für Wohlstand, Frieden, Meinungsfreiheit, religiöse Toleranz usw. seiner Untertanen zu sorgen, also für das, was wir heute die „Menschenrechte“ nennen. Durch Friedrich wurde Preußen – trotz aller Einschränkungen – der damals modernste Staat in Deutschland.

Friedrich war ein begeisterter Anhänger der Aufklärung. Mit Voltaire, dem damals berühmtesten französischen Vertreter der Aufklärung, hatte er einen engen Umgang.

Schloss Sanssouci (Bild: Der Weg)

Schloss Sanssouci (Bild: Der Weg)

Die Aufklärung stand der Religion vielfach kritisch gegenüber. Religion galt als altmodisch, als fortschrittsfeindlich. Friedrich lehnte ebenfalls alle Religionen, auch den christlichen Glauben, ab. Er spottete über sie. Er sah in ihnen nur Machtstreben und Betrug. Gott war für ihn nur ein „höchstes Wesen“, das sich in keiner Weise um die Menschen kümmerte. Er meinte, was einer glaubt, ist gleich; Hauptsache, er tut Gutes. „Die Stimme der Natur will, dass wir uns alle lieben und gegenseitig unser Wohlergehen fördern. Das ist meine Religion.“

Trost fand Friedrich in der „Philosophie“. „Ich liebe die Philosophie, weil sie meine Leidenschaften mäßigt und mir Gleichgültigkeit gegen meine Zerstörung (im Tode) gibt“.

Friedrich liebte geistreiche Gespräche. Er spottete gern, häufig in boshafter Weise. Er liebte Kunst und Literatur, sprach am liebsten Französisch, verschönte Berlin und Potsdam (u. a. Schloss Sanssouci). Auch komponierte er nicht schlecht; J. S. Bach und andere Komponisten lud er zu sich ein.

Verdient Friedrich den Namen „der Große“? Einerseits hat er das Wohlergehen seiner Untertanen gefördert und sich für die Menschenrechte eingesetzt wie kein anderer Fürst damals. Andererseits hat er um seines Ruhmes und um Preußens Größe willen den Tod von Tausenden verursacht. Und er hat mitgeholfen, Glauben und Religion, die den Menschen Halt und Trost geben, zu zerstören. Deshalb dürfte er meines Erachtens den Beinamen „der Große“ wohl nicht verdienen. Aber er bleibt eine faszinierende Persönlichkeit.

Zu seinen Widersprüchen gehört auch: Er, der so viel für die Menschen seines Landes tat, hatte eine sehr schlechte Meinung vom Menschen. „Der große Haufe der Menschen ist dumm und boshaft.“ Aber wenn man Gott nicht kennt, weiß man auch nichts von der Gottesebenbildlichkeit[4], der Würde des Menschen, die der Mensch trotz aller Sünde immer noch besitzt.

Friedrich glaubte nicht an Gott, der das Geschehen in der Welt und in unserem Leben lenkt und dem wir in aller Not vertrauen dürfen. Er konnte aber auch am Ende seines Lebens sagen: „Ich wünschte, dass mein Volk noch den Glauben an Gott hätte, den es bei meinem Regierungsantritt besaß.“ Und er nannte sich selbst „einen Verdammten, dem die Gnade des lebendigen Glaubens nicht zuteil wurde“. Ob sich darin nicht doch eine Ahnung von Gott – dem lebendigen Gott –ausdrückte?

Hans Misdorf

[1] Fahnenflüchtiger; jemand, der vor dem Wehrdienst flieht
[2] unfruchtbarer Boden mit eingeschränktem Pflanzenwachstum
[3] Die Leibeigenschaft bezeichnet eine im Mittelalter weit verbreitete persönliche Abhängigkeit von Bauern von ihrem Grundherrn bzw. Gutsherrn (ähnlich einem Sklaven)
[4] Die Bibel (1. Mose 1,26) sagt, dass Gott den Menschen nach seinem (Eben-)Bild geschaffen hat, ihm ähnlich. ebenbildlich = gleichartig, übereinstimmend